
Die Mutter, die alles kann
Grossmann-Hensel, Katharina: Meine Mama ist ein Superheld. Wien: Ueberreuter 2017. 32 S. ISBN: 978-3-2191-1713-4
Zum Muttertag sollen Kinder im Vorschulalter ein Bild ihrer Mutter malen. Marta erzählt, wie sie und Paul erst gemeinsam von ihren Müttern schwärmen, sich dann in Angebereien und Allmachtsphan-tasien steigern, um schließlich in Konkurrenz, Streit und Aggression zu verfallen. Zwei ganz normale Mütter holen sie ab. Marta und Paul freuen sich schon auf die Fortsetzung des Duells am Vatertag.
Aus zwei Quellen speist sich der Humor dieser Redeschlacht mit Buntstift-Zeichnungen zwischen zwei ebenbürtigen Gegnern um den Vorrang zweier ebenbürtiger Mütter. Beide Kinder übertreiben die Vorzüge der Mütter ins Groteske („Meine Mama sagt zwar, sie hätte nur zwei Arme, aber in Wahrheit hat sie noch lauter Extra-Arme dazu!“ „Meine Mama hat an den Armen Muskeln so rund und groß wie Lastwagenreifen, sie kann hundert Sachen auf einmal tragen“). Gleichzeitig missdeuten sie Alltags-Situationen als dramatische Beweise mütterlicher Vorzüge („Meine Mama, die kann so gut Häuser bauen, dass sogar die Bauarbeiter pfeifen!“ und „Sie kann so gut Auto fahren, dass alle anderen hupen“). Den Wahrheitsgehalt hinter dem Wortgefecht offenbaren die Illustrationen – nicht entlarvend, sondern mit liebevollen Fingerzeigen. Dass hier keineswegs nur kurzweilige Rivalität, sondern auch das Ringen um die eigene Position im Mutter-Kind-Verhältnis behandelt wird, zeigt die vermeintliche Aufschneiderei „Meine Mama hat so einen großen Bauch, da passen sogar Babys rein!“ „Dafür hat meine Mama Riesenhunger!“. In zahlreichen Situationen transportiert der Bericht viel Wort- und Bild-Witz, über deren unterschiedliche Ebenen Kinder und Erwachsene – nicht immer an denselben Stellen und aus denselben Gründen– viel zu lachen haben, weil sie sich wiedererkennen und über den Humor Distanz gewinnen.
Die Geschichte konfrontiert Kinder mit einem breiten Fundus an Worten, Sprachen, Handlungsabläufen, der im wiederholten Vorlesen an Reiz nicht verliert. Immer wieder gibt es noch einen Unsinn, noch einen Schritt aus der Realität zu entdecken. Von Anfang an aber animiert der Vorleser zur Einmischung, zur Weiterführung des Streits, zum Übertrumpfen von Marta und Paul, aber auch von den anderen Zuhörern. Über die Mutter in vermeintlichem Lob Lügengeschichten erzählen zu dürfen, kann dabei zum befreienden Vergnügen werden.

Der Vater, ein unsicherer Held
Grossmann-Hensel, Katharina: Mein Papa ist ein Pirat. Wien: Ueberreuter 2017. 32 S. ISBN: 978-3-2191-1748-6
Das Verhältnis von Vater und Sohn ist in jedem Lebensalter für beide von größter Bedeutung und ein unverzichtbares (Bilderbuch-)Thema. Begleitet von bunten, oft doppelseitigen und gleichzeitig doppeldeutigen Bildern erzählt hier ein Junge von seinem Vater. Der gibt ihm in Aussehen und Auftreten (Dreitagebart, riecht manchmal nach Fisch, eher gemütlich, arbeitet im Büro – oder nicht?), Rätsel auf. Mit dieser Unsicherheit räumt der Vater auf, indem er sich als Piratenkapitän zu erkennen gibt – eine wüste, abenteuerliche Lügengeschichte mit Bildern und Motiven aus dem Reservoir der Piraten-Literatur. Auf einmal bekommt die müde Nachlässigkeit des Vaters einen ganz anderen Sinn und wird zur Coolness des Freibeuters. Die Bilder bieten viele Details, deren Absurdität Kinder als witzigen Regelverstoß genießen können. Der Junge – im Bild so klein wie er sich bei Vater und Mutter fühlt – zweifelt an seinem Heldentum, weil Papa sich als Landratte ohne maritime Sachkenntnis und im Widerspruch zu früheren Geschichten entlarvt. Aber nur zu gerne glaubt er der bunten Welt, die der Papa entwirft, um von seinem Alltag abzulenken. Das Glück liegt in der Zuwendung des Vaters, nicht im Seemannsgarn. Der verheißungsvolle Schlüssel zur unauffindbaren Schatztruhe ist das Symbol zu dieser Erkenntnis.
Das handlungs- und bildreiche Bilderbuch besitzt zwei Ebenen: eine wilde, absurde, oft hilflos bizarre Piratengeschichte, in der sich Alltag und Klischee mischen, und darunter die Fallstudie eines Vater-Sohn-Verhältnisses. Beide kommen einander in der Fiktion vom Piratenkapitän mit viel Humor einander näher.
In Kenntnis dieser Analyse können Erzieher und Erzieherin dem Gespräch der Kinder freien Lauf lassen. Es geht nicht darum, ihnen die unterschiedlichen Bedeutungsebenen der Geschichte zu verdeutlichen, sondern sie ihren eigenen Weg finden zu lassen. Die Bilder bieten dabei ebenso viel Gesprächsstoff und Anlass zu Fragen wie die Erzählung des Jungen.
- Was ist ein Pirat?
- Was erlebt der Vater als Piratenkapitän?
- Was ist alles auf dem Piratenschiff?
- Warum ist eine Kuh auf dem Piratenschiff?
- Was würdest du alles mitnehmen auf dein Piratenschiff?
- Womit werden Seeungeheuer beruhigt?
- Ist die Mutter eine Prinzessin oder eine Piratenbraut?
- Was glaubst du, wo die Schatztruhe ist?
- Weißt du, was dein Vater arbeitet?
- Was würdest du sagen, wenn er dir von seinem Piratenleben erzählt?
- Ob die Mutter auch solche Abenteuer erlebt, wenn sie arbeiten geht?